Wenn aus Feinden Freunde werden

Wenige Veränderungen im Erbgut machen aus einem pflanzenschädlichen Pilz einen potenziellen Nützling

6. Mai 2016

Pflanzen sind wegen ihrer sesshaften Lebensweise darauf angewiesen, das Beste aus ihrer Umgebung zu machen. Dabei wägen sie über bislang unbekannte molekulare Mechanismen ab, was ihnen dient und was ihnen schadet. Sie gewähren auch Mikroorganismen Zutritt zu ihren Wurzeln, wenn sie dadurch Zugriff auf essentielle Bodennährstoffe erhalten. Für die Modellpflanze Arabidopsis ist der Bodenpilz Colletotrichum tofieldiae ein solcher Untermieter auf Abruf. Die Pflanze akzeptiert den Pilz als Phosphat-Lieferanten, wenn sie selbst keinen Zugriff auf diesen Mineralstoff hat. Sie weist ihn zurück, wenn sie sich alleine mit Phosphat versorgen kann. Die Pflanze gewichtet also die Anforderungen, die der Standort an sie heranträgt und auf die sie reagieren muss, sehr genau. Dabei spielt das pflanzliche Immunsystem eine bedeutende Rolle. Stéphane Hacquard, Paul Schulze-Lefert und Richard O’Connell vom Max-Planck-Institut für Pflanzenzüchtungsforschung in Köln sind der Frage nachgegangen, welche Veränderungen dafür verantwortlich sind, dass Colletotrichum tofieldiae unter bestimmten Bedingungen nicht mehr die volle Wucht des pflanzlichen Immunsystems zu spüren bekommt. Demnach reichen nur wenige Änderungen im Erbgut aus, um aus einem Krankheitserreger einen Partner zu machen.

Pilze der Gattung Colletotrichum sind eigentlich Krankheitserreger. Colletotrichum tofieldiae muss daher im Laufe der Evolution Veränderungen durchgemacht haben, die ihn zum potenziellen Freund von Arabidopsis gemacht haben. „Wir wollten wissen, welche molekularen Anpassungen auf der Seite des Pilzes und auf der Seite der Pflanze nötig waren, damit beide Partner kooperieren können, die Pflanze als Wirt aber die Kontrolle über das Miteinander behält“, sagt Stéphane Hacquard vom Kölner Max-Planck-Institut. „Unsere Forschung läuft damit auch auf die Frage hinaus, wie Pflanzen darüber entscheiden, was ihnen nützt und was ihnen schadet und wie sie die verschiedenen Optionen gegeneinander abwägen“, so Hacquard weiter.

Die Wissenschaftler haben dafür das Erbgut von mehreren, auf unterschiedlichen Kontinenten gesammelten Varianten des nützlichen Colletotrichum tofieldiae mit dem Erbgut seines schädlichen Verwandten Colletotrichum incanum verglichen. Sie haben auch untersucht, welche Gene die beiden Pilze anschalten, wenn sie sich über eine Wurzel hermachen – und zwar unter Bedingungen mit genügend und mit zu wenig löslichem Phosphat im Boden.

Durch den Erbgutvergleich zeigte sich, dass der letzte gemeinsame Vorfahre beider Pilzarten vor ungefähr acht Millionen Jahren gelebt und eine pathogene Lebensweise gehabt hatte. Die nützlichen Anpassungen müssen also erst später in der Evolution hinzugekommen sein. Die Wissenschaftler konnten durch den Vergleich mit anderen nützlichen Pilzarten auch zeigen, dass es keinen universellen Gen-Baukasten für das gedeihliche Miteinander von Pilzen und Pflanzen gibt. „Es gibt kein Standard-Set an Genen, mit dem Pilze dafür sorgen können, dass sie von den Pflanzen in ihren Wurzeln toleriert werden“, sagt Hacquard. „Das gedeihliche Miteinander muss also in der Evolution mehrmals unabhängig voneinander entwickelt worden sein.“

Die Kölner Wissenschaftler zeigen weiter, dass die Akzeptanz des nützlichen Pilzes nicht an eine radikale Veränderung seines Erbgutes gebunden ist. Die nützliche und die schädliche Art besitzen verblüffend ähnliche Genausstattungen. „Der Wechsel vom Krankheitserreger zum brauchbaren Untermieter basiert also auf verhältnismäßig wenigen genetischen Änderungen“, sagt Hacquard. „Von knapp 13000 vorhandenen Genen sind 11300 identisch. In den acht Millionen Jahren, seit dem sich die beiden Arten auseinander entwickelt haben, hat der nützliche Pilz 1009 Gene hinzugewonnen  und 198 Gene verloren.“

Besonders auffällig ist die Änderung bei der Zahl der Effektor-Gene. Effektoren sind Proteine, mit denen Mikroorganismen versuchen, das Immunsystem der Pflanzen zu unterlaufen und auszuschalten. Der nützliche Pilz hat nur 133 Effektor-Gene, sein schädlicher Verwandter hat fünfzig Prozent mehr. Hacquard und seine Kollegen konnten des Weiteren zeigen, dass die Effektor-Gene des nützlichen Pilzes bei der Besiedlung der Wurzel fast gar nicht abgelesen werden. Offensichtlich besteht kein Bedarf für die korrespondierenden Proteine. Das nützliche Miteinander kommt also fast ohne Effektor-Proteine zustande.

Die Kölner Wissenschaftler entdeckten auch, dass der nützliche Pilz die Gene, die er noch aus seiner pathogenen Stammesgeschichte besitzt, entweder gar nicht abliest oder erst sehr spät. „Wir schließen daraus, dass das gedeihliche Miteinander darauf beruht, dass die ursprünglich für die Pathogenese verantwortlichen Gene des Pilzes abgeschaltet bleiben und erst gar nicht zum Zuge kommen“, sagt Hacquard.

Die Wissenschaftler haben sich auch angeschaut, wie Arabidopsis auf die beiden Pilze reagiert. Sie konnten dabei dokumentieren, dass die Pflanze ihre Antwort von der Menge an löslichem Phosphat im Boden abhängig macht. Ist genügend Phosphat vorhanden, aktiviert die Pflanze ihr Immunsystem und bremst den nützlichen Pilz in der Wurzel aus, weil sie ihn nicht braucht. Ist sie mit einem Mangel an Phosphat im Boden konfrontiert, der ihr Wachstum einschränkt, drosselt sie ihre Immunantwort gegen den nützlichen Pilz. Der schädliche Pilz ist unter allen Bedingungen der geballten Wucht ihres Immunsystems ausgesetzt ist, weil er Arabidopsis nichts zu bieten hat.

Die pflanzliche Immunantwort wird also unter Nährstoffmangel nur dann gedämpft, wenn der nützliche Pilz im Gegenzug Phosphat aus dem Boden einsammelt und dies in der Wurzel für das Pflanzenwachstum zur Verfügung stellt. Wie Immunsystem und Ernährung bei Pflanzen genau miteinander verknüpft sind, wollen die Wissenschaftler als nächstes  untersuchen.

HK/HR

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