Natürliche Variation bei höheren Pflanzen – Gene, Mechanismen, Evolution, Pflanzenzüchtung
Forschungsbericht (importiert) 2004 - MPI für Pflanzenzüchtungsforschung
Arabidopsis als Modellpflanze
Deutsche Wissenschaftler wie Laibach, Napp-Zinn und Röbbelen leisteten schon in den fünfziger Jahren Pionierarbeit, als sie Arabidopsis als Modellpflanze bei der Erforschung der Vererbung physiologischer Merkmale einsetzten. In den frühen achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts wurde Arabidopsis dann die Modellpflanze in der internationalen Pflanzenforschung. Zu dieser Zeit war die Molekularbiologie bereits so weit fortgeschritten, dass komplexe Organismen wie z. B. höhere Pflanzen näher erforscht werden konnten. Der Grund für die Verwendung der Ackerschmalwand als Modellpflanze [1] lag in der Effizienz ihrer Genetik, zu der die kurze Generationszeit und die Befähigung zur Selbstbefruchtung ebenso beitrugen wie die Tatsache, dass Arabidopsis eines der kleinsten bisher bekannten Genome höherer Pflanzen besitzt. Im Gegensatz zu anderen genetischen Modellpflanzen wie Erbse und Gerste enthält Arabidopsis vorwiegend kodierende und nur wenige repetitive, nicht kodierende DNA-Sequenzen. Das kompakte Genom erleichterte das Klonieren von Genen mithilfe von Mutanten.
Die Verwendung von Arabidopsis als Modellpflanze in der Molekulargenetik hatte zunehmenden Erfolg, als sich zeigte, dass Arabidopsis leicht transformiert werden konnte und dadurch die Erzeugung von so genannten knock-out-Mutanten in fast jedem Gen ermöglicht wurde. Mutanten spielen sowohl bei der forward-Genetik (mit einem Mutanten-Phänotyp beginnend, worauf die Identifizierung der genomischen DNA-Sequenz erfolgt) als auch bei der reversen Genetik (beginnend mit der Mutation in einer bekannten DNA-Sequenz eines Gens, wobei der Phänotyp die Wirkung dieses Gens zeigt) eine wesentliche Rolle.
Natürlich vorkommende Variation für adaptive Merkmale
Neben den künstlichen Mutanten ist die natürliche phänotypische Variation eine reiche Quelle an genetischen Varianten. Arabidopsis wächst in vielen Teilen der Welt – von Nordskandinavien bis in einigen Gebieten Zentralafrikas sowie vom Meeresspiegel beginnend bis auf 3.500 Meter Höhe in den Bergen von Zentralasien (Abb. 1).
Laibach erkannte und beschrieb bereits 1943, dass Arabidopsis-Pflanzen, die in freier Natur gesammelt wurden, sich erheblich voneinander unterschieden. Man geht davon aus, dass die in der Natur vorkommenden genetischen Varianten einer natürlichen Selektion zur Anpassung an die lokale Umwelt ausgesetzt sind. Durch diese Annahme werden Kenntnisse der molekularen Grundlagen dieser Variation zu einem interessanten Forschungsthema. Bei der Analyse der natürlichen Variation tritt jedoch die Schwierigkeit auf, dass diese in erster Linie so genannte quantitative Merkmale betrifft, d. h. dass die Unterschiede zwischen zwei Wildformen (die in verschiedenen Umwelten gefunden wurden) durch mehr als ein Gen bestimmt werden. Darüber hinaus werden viele dieser Merkmale durch sich verändernde Umweltfaktoren beeinflusst, wodurch die Isolierung der entsprechenden Gene noch erschwert wird.
Durch eine ganze Reihe technischer Entwicklungen ist man jedoch inzwischen in der Lage, genau zu bestimmen, an welcher Stelle der Chromosomen Gene, die das jeweilige quantitative Merkmal beeinflussen, lokalisiert sind. Dadurch war das Klonieren dieser Gene möglich. Von Bedeutung ist dabei das Vorhandensein von so genannten immortalen Kartierungspopulationen, bei denen der Phänotyp genau bestimmt werden kann, da jeder Genotyp in Replikaten und mehreren Umgebungen getestet werden kann. Am Max-Planck-Institut für Züchtungsforschung wurden verschiedene rekombinante Inzuchtlinien-Populationen entwickelt, welche einen Typ der immortalen Kartierungspopulation darstellen. Diese haben ebenfalls unterschiedliche Arabidopsis-Wildformen als Eltern.
Die Art der Veränderung, die bei der in der freien Natur vorkommenden Arabidopsis-Pflanze beobachtet werden kann, und die Methoden, diese zu analysieren, sind zwar bei Nutzpflanzen ähnlich; technische Vorteile und verfügbare Ressourcen erleichtern jedoch die molekulare Analyse von Arabidopsis im Vergleich zur Analyse von Nutzpflanzen. Daher kann Arabidopsis als Modell für die Weiterentwicklung der Techniken zur Analyse der natürlichen Variation eingesetzt werden und dient nach wie vor zur Gewinnung von Kenntnissen über Gene, die auch bei Nutzpflanzen von Bedeutung sind. Es sollte jedoch immer bedacht werden, dass zwischen Pflanzenarten Unterschiede existieren und dass Arabidopsis nicht an die Landwirtschaft angepasst ist. Daher wird der Einsatz von Arabidopsis als Modellpflanze nicht immer funktionieren, wenn es um Gene geht, die die so genannten adaptiven Merkmale bestimmen.
Die Genetik komplexer Eigenschaften
Die Gene, auf die sich die Forscher der Abteilung Pflanzenzüchtung und Genetik konzentrieren, beeinflussen Merkmale, die in freier Natur wahrnehmbare Änderungen aufzeigen und von denen angenommen wird, dass sie die Anpassungsfähigkeit der Pflanzen an ihre Umwelt bestimmen. Blütezeit, Samenruhe und Anpassung an Stress sind Beispiele solcher Merkmale. Die Samenruhe ist eine Eigenschaft, die verhindert, dass Samen unter (vorübergehend) günstigen Umweltbedingungen, aber zur falschen Zeit im Jahr keimen. Für dieses Merkmal stellten die Forscher des Max-Planck-Instituts für Züchtungsforschung umfassende genetische Veränderungen fest und konnten 10 dieser Gene im Genom von Arabidopsis lokalisieren. Ein für die Samenruhe verantwortliches Gen wurde bereits kloniert und scheint einen Transkriptionsfaktor zu kodieren, der die Gene beeinflusst, die das Keimen verhindern. Keimfähigkeit wird hervorgerufen, wenn Samen lange Zeit lagern (die Samen müssen warten) oder niedrigen Temperaturen ausgesetzt sind (die in der freien Natur im Sommer nicht vorkommen). Wie diese Umweltfaktoren jedoch die Samenruhe brechen, ist noch nicht bekannt. Das ist eine interessante Frage, der die Forscher durch Analyse von Änderungen der Genexpression, die durch diese Umweltfaktoren hervorgerufen wurden, und durch die Isolierung von Mutanten, die nicht auf diese Umweltfaktoren reagieren, auf den Grund gehen wollen. Anschließend sollen die verantwortlichen Gene kloniert werden. Eine Möglichkeit für den Mechanismus zur Kontrolle der Samenruhe könnte sich aus der Zugänglichkeit des Genoms für die Transkriptionsfaktoren ergeben, die auch durch die Struktur des Chromatins bestimmt wird. Ein wichtiger Teil der Forschung zur Samenruhe ist daher die Untersuchung von Änderungen in der Chromatinstruktur.
Ein weiteres Merkmal, das im Moment untersucht wird, ist das Pflanzenwachstum unter verschiedenen Umweltbedingungen. Wachstum hängt von der Integration vieler Prozesse ab, die durch die Umwelt beeinflusst werden. Ob alle diese Prozesse zur natürlichen Variation beitragen, ist nicht bekannt. Die am Max-Planck-Institut für Züchtungsforschung untersuchten Umweltfaktoren sind die Temperatur und die Versorgung mit Mineralien. Experimente hierzu werden unter kontrollierten Bedingungen durchgeführt, z.B. in Hydrokulturen (Abb. 2). Ein Ziel der Forscher ist es, diese Experimente auch unter natürlichen Bedingungen im Außenbereich testen zu können.
Die Bedeutung der natürlichen Variation
Ein wichtiger und neuer Weg, natürliche Variation zu betrachten, ist auf der Ebene der Erbinformation (DNA) zu beginnen und nach Sequenzen zu suchen, die in allen Wildformen oder in Untergruppen von Wildformen enthalten sind. Ein solches Ergebnis kann einen Hinweis darauf geben, ob eine Auswahl von bestimmten Bereichen des Genoms stattgefunden hat. Aus diesem Grund analysieren Forscher die Merkmale bei einer großen Anzahl von Wildformen, für die es Informationen über Veränderungen auf DNA-Ebene gibt. Nachfolgend soll versucht werden, Veränderungen auf DNA-Ebene mit Veränderungen auf der Merkmal-Ebene in Verbindung zu bringen. Die daraus gewonnenen Informationen können voraussichtlich für die Identifikation von Genen eingesetzt werden, die Merkmale in anderen als den untersuchten Populationen beeinflussen.
Die detaillierte Erforschung der Molekular- und Populationsgenetik dieser Merkmale wird dazu beitragen, die natürliche genetische Variation besser zu verstehen und ist von Nutzen, wenn es darum geht, die Anpassung von Kulturpflanzen an bestimmte Umweltbedingungen zu begreifen.