Sind MADS-Box-Gene ein Schlüssel zum Verständnis der Entwicklung und Evolution der Gametophyten-Generation von Landpflanzen?
Forschungsbericht (importiert) 2008 - MPI für Pflanzenzüchtungsforschung
MADS-Box-Gene steuern die pflanzliche Entwicklung
Seit ihrer Entdeckung in den frühen neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts hat sich die Analyse der Transkriptionsregulatoren aus der Familie der MADS-Box-Gene zu einem zentralen Thema der molekularen Entwicklungsbiologie von Pflanzen entwickelt. Fast unüberschaubar ist die Anzahl der Forschungsberichte, die die Beteiligung von MADS-Box-Genen an einer Vielzahl von Entwicklungsprozessen der Samenpflanzen beschreiben. Eine überragende Bedeutung erlangte die Analyse von MADS-Box-Genfunktionen im Rahmen der Blütenbildung bedecktsamiger Pflanzen. Das Zusammenspiel der MADS-Box- Gene bei der Kontrolle der Entwicklung der Blütenorgane ist schon frühzeitig im so genannten ABC-Modell zusammengefasst worden, welches auf der Analyse verschiedener homöotischer Blütenmutanten beruht und mittlerweile Einzug in die Lehrbücher der Botanik gefunden hat.
Aufgrund der enormen Bedeutung von MADS-Box- Genen für die Blütenbildung stellte sich schon bald die Frage nach der mutmaßlichen Funktion dieser wichtigen Kontrollgene im Rahmen anderer Abschnitte des pflanzlichen Lebenszyklus. Im Folgenden werden Homologe dieser molekularen „Blütenarchitekten“ aus der haploiden Phase des Lebenszyklus verschiedener Landpflanzengruppen, dem so genannten Gametophyt, vorgestellt (Abb. 1); bislang durchgeführte Untersuchungen legen eine entscheidende Bedeutung auch für diese Gene nahe, sowohl für die individuelle Entwicklung des Gametophyten, als auch für die Evolution der gametophytischen Generation von Landpflanzen im Allgemeinen.
Die Gametophyten-Generation der Landpflanzen
Der Lebenszyklus der Landpflanzen ist durch das Auftreten zweier unabhängiger Generationen geprägt, die mehr oder weniger große Abhängigkeiten voneinander besitzen. Die Gametophyten repräsentieren bei den meisten Landpflanzen die „versteckte Generation“, die sich entweder mikroskopisch klein und freilebend im Substrat entwickelt, wie beispielsweise die Prothallien der Farne, oder die vollständig in die sporophytischen Gewebe integriert worden ist, wie die Gametophyten der Samenpflanzen (Abb. 1). Einzig bei den Moospflanzen dominieren die Gametophyten den Lebenszyklus und bilden die makroskopisch sichtbaren Moospolster, wie sie zum Beispiel in mitteleuropäischen Wäldern vorkommen. Die Reduzierung der Komplexität und Unabhängigkeit der Gametophyten erreicht bei den Bedecktsamern ihren Höhepunkt: In dieser Pflanzengruppe repräsentieren der dreizellige Pollen und der meist achtzellige Embryosack den männlichen beziehungsweise weiblichen Gametophyten. Beide Strukturen sind in ihrer Entwicklung vollständig vom umgebenden Sporophyten abhängig.
MIKC* MADS-Box-Gene sind gametophytenspezifisch
Im Jahr 2002 wurde ein bislang unbekannter Typ von MADS-Box-Genen, die so genannten MIKC*- Gene, entdeckt [1]. Nachdem MIKC*-Gene zunächst im Gametophyten des Laubmooses Physcomitrella patens (Kleines Blasenmützenmoos) beschrieben worden waren, konnten Homologe dieser Gene kurze Zeit später auch im Genom der Modell-Blütenpflanze Arabidopsis thaliana (Acker-Schmalwand) identifiziert werden. Sowohl strukturelle Eigenschaften als auch eine nahezu ausschließliche Expression in gametophytischen Geweben (Abb. 2) unterscheiden die MIKC*-Gene deutlich von den bislang bekannten MADS-Box-Genen.
Fünf der sechs MIKC*-Gene aus Arabidopsis sind in späten Stadien der Pollenentwicklung und -reifung aktiv. So wie viele Transkriptionsfaktoren regulieren MIKC*-Proteine die Aktivität ihrer Zielgene, indem sie als dimere Komplexe an definierte Erkennungsstellen in der DNA binden [2]. Um die Interaktionen aller MIKC*- Proteine zu untersuchen, wurden die Proteine paarweise in Hefezellen ausgeprägt und ihre Komplexbildung mit mutmaßlichen DNA-Bindemotiven in nativen Polyacrylamid-Gelen getestet (electrophoretic mobility shift assay). Darüber hinaus wurden die Protein-Interaktionen in Pflanzenzellen mittels der so genannten „bimolekularen Fluoreszenz-Komplementation“ visualisiert. Hierbei werden die zu untersuchenden MIKC*-Proteine jeweils an den C- beziehungsweise N-terminalen Teil des gelb-fluoreszierenden Proteins (YFP) gekoppelt und durch Agrobakterien-vermittelte Transformation in Zellen aus Tabakblättern eingeschleust. Interagieren die beiden MIKC* Proteine miteinander, kommt es zur räumlichen Annäherung der beiden Hälften des Fluoreszenzproteins, was zur Wiederherstellung der Fluoreszenzeigenschaft führt. Durch Kombination dieser in vitro und in vivo Methoden konnten die Interaktionen der im Pollen exprimierten MIKC*-Proteine vollständig rekonstruiert werden. Hieraus resultierte ein geordnetes Interaktions-Netzwerk aus fünf obligaten heterodimeren Komplexen (Abb. 3).
MIKC*-Gene steuern späte Stadien der Pollenentwicklung in Arabidopsis
Untersuchungen an mutanten Arabidopsis-Linien erlaubten Einblicke in die Funktion der MIKC*-Gene und Proteine [3]. Aufgrund von Genchip-Hybridisierungen konnten über 1300 Gene identifiziert werden, deren Expression im Pollen entweder direkt oder indirekt vom MIKC*- Gen-Netzwerk beeinflusst wird. Diese Zielgene sind in zahlreiche Lebensprozesse von Pflanzenzellen involviert; die gleichzeitige Umsteuerung ihrer Expressionsniveaus führt im Pollen von MIKC*-Mutanten zur Blockierung der Reifungsprozesse und verhindert dadurch die Pollenkeimung.
Die funktionelle Evolution der MIKC*- Genfamilie
Momentan werden die MIKC*-Genfamilien aus zahlreichen Repräsentanten der verschiedenen taxonomischen Abteilungen von Landpflanzen strukturell und funktionell charakterisiert. So konnten mittels der entschlüsselten Genomsequenzen in Reis und im Moosfarn Selaginella moellendorffii jeweils drei und in Physcomitrella patens elf funktionelle MIKC*-Gene identifiziert werden. Inwieweit die Größe der MIKC*-Genfamilien und die Komplexität der jeweiligen Gametophyten-Generation zusammenhängen, ist Gegenstand der laufenden Forschungsarbeiten. Darüber hinaus sind experimentell die ersten DNA-Erkennungssequenzen von MIKC*- Proteinkomplexen bestimmt worden, wodurch unter anderem Hinweise auf deren Spezifizierungsmechanismen gewonnen werden können.
Ausblick
In Zukunft werden detaillierte Rekonstruktionen von MIKC*-Netzwerken und Analysen zu MIKC*- Genfunktionen aus verschiedenen, „phylogenetisch informativen“ Pflanzenarten zur Verfügung stehen. Der Vergleich dieser Daten wird zweifellos zum generellen Verständnis der Evolution der molekularen Mechanismen, der Vernetzung, der Komplexität und der Funktion von Transkriptionsfaktor-Netzwerken in Pflanzen beitragen. Die Einbindung weiterer Hochdurchsatz-Methoden, zum Beispiel in der Proteom- und Metabolom-Analyse, wird hierbei entscheidend zur Verbreiterung und Komplettierung der Analyse der MIKC*-Netzwerke beitragen.
Widmung
Die Erforschung der MIKC*-Gene erfolgte in der Abteilung und mit großer persönlicher Unterstützung von Prof. Dr. Heinz Saedler, der mit Erreichen der Altersgrenze das Max-Planck-Institut für Züchtungsforschung zum Juni 2009 verlässt. Ihm ist dieser Artikel mit den allerbesten Wünschen für seinen Ruhestand gewidmet.